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Ernte – ein verdichtetes Momentum innerhalb des Jahreskreises

  • Autorenbild: Ivana D'Addario
    Ivana D'Addario
  • 29. Juni
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Juni


Ernte bedeutet im naturnahen Denken weit mehr als nur Ertrag. Sie ist ein Bündnis von Mensch, Boden, Pflanze, Tierwelt und Wetter sowie Klima. Um die Natur intakt zu halten, gründet sie auf Mitwirkung und Mass und ausserdem auf der Einsicht, dass der Mensch neben der Natur als führende Kraft existiert, nicht über ihr.


In meinem Blog-Beitrag «Einmachen leicht gemacht – oder etwa doch nicht?» vom 23. September 2023 berichte ich, worauf es in der Einmachküche ankommt. Auf eine Erläuterung des «Wie» habe ich bewusst verzichtet, denn die Art des Kochens ist für mich eine persönliche, manchmal sogar geheimnisvolle Angelegenheit, die ihren Zauber gerade durch das Unausgesprochene bewahrt. Doch das «Ob» und ebenso das «Was» sind wesentlich und zumeist unumgänglich. Worauf man alles und weshalb «achten» muss, scheint mir die weitaus wichtigere Aufklärung, daher liefere ich im Artikel eine wertvolle Liste von Muss-Kriterien für die Einmachküche, die – eben – Achtsamkeit kultivieren soll.

 

Für diesen Blog habe ich mir einen besonders beachtenswerten Einmachschritt aus der Liste gegriffen: die Ernte. Sie ist nicht nur ein Schlüsselmoment, sondern auch die Basis, die massgeblich über die Qualität des herzustellenden Produkts entscheidet. Wenn ich folglich von Ernte rede, meine ich damit nicht bloss die «Erbeutung» bzw. das Einholen von Erträgen, sondern primär den Vorgang, in dem viel Sensibilität und Umsicht für die Umwelt steckt. Grundlegend ist deshalb das Verständnis, dass wer erntet, Verantwortung trägt – für das Fortbestehen der Pflanzen- als auch Tierwelt und letztendlich auch für die Zukunft der Menschen. Denn als «Eingreifer» in den Kreislauf der Natur gehen wir immer eine Verpflichtung zur Gegenleistung ein. Dies bedingt zu wissen, was man tut. Die Ernte ist daher eine anspruchsvolle Aufgabe, die neben Achtsamkeit auch Weitsicht erfordert. Das klingt heidnischer oder gar spiritueller, als es eigentlich ist, schliesslich erlangt das erdehrende, zyklische und nachhaltige Denken sowie Handeln wieder unser Bewusstsein, dank Bio, Demeter oder ProSpecieRara. Und wenn man nicht selber kultiviert und erntet, kauft man Geerntetes irgendwo ein. So ist auch der Einkauf eng mit der Ernte verflochten. Und beides erfordert Bewusstheit.


Die Lebensweise der Pflanze

Früchte und andere verwertbare Pflanzenteile werden geerntet, bevor die Pflanze sie selbst abwerfen und ihre Samen verteilen kann. Das beeinflusst natürliche Kreisläufe enorm. Ein Baum oder ein Strauch lässt überreife Früchte nicht umsonst herabfallen: Nur wenn die darin befindlichen Samen Boden erlangen, kann aus ihnen neuer Nachwuchs entstehen. Dies ist ganz besonders wichtig bei Wildpflanzen wie Kräutern, Beerensträuchern oder Bäumen im Wald. Wird immer alles abgeerntet, hat die Pflanze keine Möglichkeit, sich zu vermehren und geht ein. Direkt betroffen sind auch Wildtiere und Insekten, weil sie auf dieselbe Nahrung angewiesen sind, doch im Unterschied zu uns spielen sie eine lebensnotwendige Rolle bei der Vermehrung von Pflanzen. Bleibt kein Futter für diese unersetzlichen Tiere, wird das Ökosystem empfindlich gestört. Allem voran die maschinelle Landwirtschaft gestaltet mit ihren Monokulturen, der Selektion von Saatgut, künstlicher Bewässerung, dem kompletten Abernten etc. die Umwelt komplett um, ersetzt sie durch kultivierte Anbauflächen und entreisst Wildtieren ihre Lebensräume. Doch werden sie verdrängt, wird die Nahrungskette brüchig. Naturnahe Gärten oder Plantagen sind bei uns deshalb ganz besonders wertvoll für sie – und ihre Gärtner und Landwirte umso mehr verpflichtet.

 

Die Ernte ist ein Eingriff in den natürlichen Rhythmus der Natur und bleibt nicht ohne Einfluss auf das empfindliche Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen. Die Grenze zwischen Eingriff und Mitwirkung ist immer fliessend. «Man erntet, was man säht» ist eine sehr prägnante Redewendung zum Echo der Natur. Man trägt davon, was man tut, aber auch, was man nicht tut, oder andersrum: Man kriegt das von der Natur zurück, was man bereit ist, ihr zu geben. Entscheidend ist also, mit welcher Haltung, welchen Mitteln und welchem vorausschauenden Denken wir ernten – und falls wir die Pflanze überdies selber kultivieren, fängt dieses Lebensprinzip schon bei der Auswahl des Samens sowie dessen Pflanzung an.

 

Ein Blick in die Vergangenheit ist lehrhaft und inspirierend: Früher wurde hauptsächlich von Hand und nur geerntet, was Reife erlangt hatte. Noch vor vierzig bis fünfzig Jahren waren unsere heutige Angebotsvielfalt und unser Einkaufsverhalten undenkbar: Erdbeeren, Tomaten oder Gurken im Winter, Blattgemüse zu jeder Jahreszeit oder überhaupt exotische Früchte. Heute ist das selbstverständlich, doch fern jeder Natürlichkeit. Es scheint keine Rolle mehr zu spielen, dass etwa Früchte aus etlichen Ländern, die teils enorm unter der verursachten Wasserknappheit leiden, unreif geerntet werden, damit sie den weiten Transportweg so gut es geht überstehen und verkauft werden können. Der deutlich schlechtere, wässrige, oft saure oder bittere Geschmack von aussersaisonalem Obst und Gemüse – auch aus nahen Treibhäusern –, wird dabei häufig bedenkenlos in Kauf genommen. «Geniessen ohne Geschmack» – so beschreiben einige Spitzenköche dieses Phänomen. Hinzu kommt, dass unreifes Obst wegen seiner hohen Konzentration an Gerbstoffen und Säuren für viele schwerverdaulich sind und Magenbeschwerden hervorrufen. Früher hingegen war die Reife gerade wegen des Geschmacks sowie der Verträglichkeit entscheidend, doch musste auch eine lange Lagerfähigkeit sichergestellt sein. Daher wurde meist kurz vor der Vollreife geerntet. Die oft saisonale Ernte war von den natürlichen Bedingungen abhängig und geschah deshalb zwangsläufig zu ganz bestimmten Zeitpunkten.

 

Sowohl die Ernte als auch die wochen- und monatelangen Nacharbeiten waren darüber hinaus ein gemeinschaftlicher sowie gesellschaftlicher Akt. Denn geerntet wurde nicht nur im Kreise der Familie. Es halfen auch Verwandte, Nachbarn, Freunde und weitere Bekannte. Jeder der konnte, leistete seinen Beitrag und stärkte, genährt durch gemeinschaftliches Tun, das dörfliche oder städtische Wir-Gefühl. Ebenso die Folgearbeiten verrichtete man in Gruppen, tauschte sich währenddessen aus, trank und ass gemeinsam. Man war sich nicht nur der Bedeutung von Natur, Landwirtschaft und Gemeinschaft bewusst, sondern auch der eigenen Eingebundenheit darin. Ausschlaggebend war wohl, dass viele die harte Feldarbeit wenigstens ein Mal im Jahr zur Erntezeit am eigenen Körper erfuhren und so ein Verständnis dafür bekamen, was es bedeutet, Nahrung mit den eigenen Händen zu gewinnen und vom Acker bis auf den Teller zu bringen. Und wer auch nur zuschauen mochte: Ernten waren schon immer eine Attraktion für viele Menschen. Auch wenn sie dem Event nur als Zuschauer beiwohnten, vielleicht aus Wehmut, waren sie der Natur ganz nah.

 

Die Epoche der ewigen Erntezeit von Obst und Gemüse ist längst angelaufen. Doch die weltweite Praxis der permanenten Verfügbarkeit und des aussersaisonalen Anbaus ist kein harmloser Luxus, den wir uns leisten können. Es ist Teil eines Systems, das auf der ganzen Welt gravierende Folgen auf das Klima, die Wasserreserven und lokalen Lebensgrundlagen der Anbauländer sowie Gesellschaft hat. Gerade weil diese Entwicklung unsere Essgewohnheiten verändert hat, ist es wichtig, sich ihrer ökologischen Auswirkungen bewusst zu sein, besonders hinsichtlich der langen Transportwege oder des verschwenderischen Ressourcenverbrauchs von beheizten Gewächshäusern.

 

Worauf es mir also beim Ernten aus ökologischen, praktischen und ethischen Gründen ankommt, erfährt ihr jetzt:

 

  • Kreislauf- und Nachhaltigkeitsverständnis entwickeln: Saisonalität. Regionalität. Ökologischer Fussabdruck. Zero Waste. Nachhaltigkeit. Biodiversität, Resilienz. Alles Schlüsselbegriffe des neuentdeckten Naturbewusstseins. In der Permakultur oder in naturnahen Gärten ist die Handarbeit ein wesentlicher Bestandteil, um die Ernte so schonend wie möglich und im Einklang der Natur durchzuführen. Üblich ist es auch, nicht alles zu nehmen, sondern einen Teil für Natur und Kreislauf zurückzulassen. Einige Faustregeln lauten: Nur so viel nehmen, wie man braucht. Oder ein Drittel für uns, ein Drittel für die Tiere und ein Drittel für die Erde. Je nach Pflanzenart, Bestand oder Seltenheit gilt auch, nie mehr als einen Fünftel zu ernten und nur dort zu sammeln, wo genug wächst.


Permakultur ist eine Philosophie und Gestaltungsmethodik, die sich an natürliche Ökosysteme orientiert. Das Ziel ist, resiliente, weitgehend sich selbst erhaltende und regulierende Systeme zu schaffen, die sowohl den Bedürfnissen der Menschen als auch denen der Erde gerecht werden. So wird die Ernte als Kooperation mit der Natur angesehen, etwa wenn Pflanzen durch die Nutzung durch den Menschen gepflegt, weiterverbreitet und erhalten werden.


  • Den idealen Reifezeitpunkt durch sorgfältige Beobachtung bestimmen: Eine Pflanze würde nie unreife bzw. noch nicht ausgereifte Früchte abwerfen, ausser sie steht unter Stress. Noch nicht gereifte Früchte zu ernten, macht daher auch für uns Menschen keinen Sinn: Sie schmecken und bekommen uns nicht. Überreif aber sollten sie auch nicht sein. Zum idealen Zeitpunkt geerntet, schmecken Früchte prima, sind bekömmlich und lassen sich relativ lange lagern. Der ideale Zeitpunkt variiert je nach Fruchtsorte:

 

Klimakterische Früchte, also solche, die nachreifen, werden idealerweise kurz vor der Vollreife gepflückt. Dies sind bei Beeren bzw. beerenähnlichen: Heidelbeere (leicht), Dattel (teilweise), Kiwi / bei Fruchtgemüse: Tomate, Zuckermelone / beim Kernobst: Apfel, Birne, Quitte / beim Steinobst: Mango, Nektarine (je nach Sorte), Pflaume, Zwetschge / bei Tropenfrüchten: Banane, Guave, Kaki, Papaya, Passionsfrucht


Nicht-klimakterische Früchte, also solche, die nicht nachreifen, werden bei Genussreife gewonnen. Da sie rasch mehlig werden oder alsbald faulen, eignen sie sich nicht für die Lagerung und werden nach der Ernte umgehend verarbeitet oder verzehrt. Hierzu gehören bei Beeren: Brombeere, Erdbeere, Himbeere, Johannisbeere / bei Fruchtgemüse: Wassermelone / beim Steinobst: Aprikose, Kirsche, Pfirsich (teilweise) / bei Weinfrüchten: Trauben / bei Zitrusfrüchten: Grapefruit, Mandarine, Orange, Zitrone


Aufbewahrung: Nicht-klimakterische Früchte sollten nicht in der Nähe von klimakterischen aufbewahrt werden, denn klimakterisches Obst produziert das Pflanzenhormon Ethylen und verströmt es als Reifegas, das den Reifungsprozess beschleunigt und damit den vorzeitigen Verderb von nicht-klimakterischen Früchten herbeiführt.

 

  • Handernte bevorzugen: Die Handernte liefert qualitativ besseres Erntegut durch präzise Auswahl, geringe Beschädigung, besserer Aromaschutz und weniger Pflanzen- und Bodenstress. Von Hand geerntete Ware ist oft gleichmässiger und marktfertig, es muss weniger aus- und nachsortiert werden.

 

  • Natürliche Vermehrung sichern und Artenvielfalt erhalten: Damit sich die Pflanze fortpflanzen kann, immer einen Teil der Früchte, Knospen und Blüten etc. hängenlassen. Wenn immer alles abgeerntet wird, kann sich die Pflanze zudem langfristig zurückbilden bis sie verschwindet, was vor allem Wildkräutern oder seltenen Arten passieren kann.

 

  • Nahrung für die Tiere zurücklassen: Viele Wildtiere wie Vögel, Insekten, Mäuse, Eichhörnchen usw. sind auf natürliche Nahrung angewiesen.

 

Warum Handarbeit?

Die manuelle Ernte ist bei grossen Anbauflächen oder wenn es auf Geschwindigkeit und Kosten ankommt oft keine Option. Denn sie braucht mehr Zeit und bindet teure Arbeitskräfte, wohingegen Maschinen deutlich schneller arbeiten und günstiger sind. Das heisst, die Gewinnspanne ist höher als bei der Handernte, jedoch hat die maschinelle Ernte ihre Kehrseite und ihren Preis: (starke) Qualitäts­einbussen sind nicht zu vermeiden und werden wohlweislich hingenommen. Das Pflücken von Hand hingegen ermöglicht hochwertige Erträge und volle Aromen, denn sie erlaubt eine gezielte Auswahl reifer, einwandfreier Früchte und schliesst damit unreife, beschädigte oder kranke Exemplare aus. Bei der Maschinenernte hingegen werden alle Früchte gepflückt, unabhängig von ihrem Zustand. Das bringt zwei grosse Geschmacksnachteile mit sich: Zum einen haben minderwertige Früchte kein gutes Aroma, zum anderen fängt beschädigtes oder zerquetschtes Obst an zu oxidieren, wodurch sich sogar fehlerhafte bis schlechte Aromen entwickeln. Allzu häufig schädigen mechanische Erntegeräte die Pflanzen, vor allem durch übermässiges Rütteln, Reissen oder zu hohem Bodendruck. Die Handernte hingegen schont die Pflanze und erhält langfristig ihre Gesundheit.

 

Das Beste an der Handernte ist: Durch den schonenden Umgang mit Pflanze und Natur bleiben Nährstoffe und Aromen erhalten, die einen authentischen Geschmack und höchste Qualität liefern. Deshalb wird sie gerade heute auch von Ivana’s Einmacherei aus Überzeugung gewählt.

 
 
 

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Jun 30

Vielen Dank für das schöne, löbliche und achtsame Berichten. Und herzliche Grüsse, inzwischen aus Zürich, marianne Lehmann, Mühlebachstrasse 48, 8008 Tsüri

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