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Von der Inspiration zur Idee zum Unternehmen - über Ivana's Einmacherei

Aktualisiert: 30. Jan.



Mit Äpfeln hat alles begonnen. Der Anfang der Geschichte von Ivana’s Einmacherei beruht auf einen kleinen Apfelbaum, der lange Zeit unbeachtet in einem verwilderten Hinterhausgarten stand und dennoch Jahr für Jahr stolz seine Früchte trug. Er war mir bereits bei der ersten Besichtigung des freistehenden Hanghauses im Spätsommer 2014 aufgefallen, als ich beim Inspizieren der Küche zum Fenster hinausschaute. Der Ausblick war alles andere als attraktiv. Man guckte geradewegs auf die hintere Stützwand sowie auf die etwas weiter oben liegende Hangmauer des angrenzenden Grundstücks, die von Brombeersträuchern, Brennnesseln und Unkraut überwuchert war. Die einzigen Lebewesen, die sich bei all den Steinen in der prallen Sonne wohlfühlten, waren Eidechsen, Blindschleichen, Ringelnattern und Kleinsäuger. Und der kleine Apfelbaum, der dort einsam seine Wurzeln schlug.


Gerade wegen seines verqueren Schnittes, seiner knorpeligen Äste und seiner ungepflegten Gesamterscheinung gewann er meine volle Aufmerksamkeit. Ich erinnere mich noch lebhaft daran wie ich dachte, wie wunderschön er doch ist. Beim anschliessenden Rundgang durch den Garten durfte ich einen seiner glänzenden, rotbäckigen Äpfel pflücken und war – zugegeben – überrascht, wie saftig und gut dieser schmeckte. Ich erfuhr, dass sich niemand jemals ernsthaft um den Apfelbaum gekümmert hatte und die Früchte mehrheitlich an den Ästen und am Boden verfaulten. Für die Vermieterin war er, wie die Mirabelle im vorderen Gartenbereich auch, eine Last. Sie seufzte tief, wenn vom Garten die Rede war, und bezeichnete die Fruchtbäume als «Negativpunkte», weil sie eine «Sauerei» anrichteten und «zu tun» gäben. Für mich jedoch war vor allem der Apfelbaum das Prunkstück des Gartens, der, nebenbei bemerkt, auf mehreren Hangebenen über gesamthaft 600 Quadratmeter angelegt war. Wenige Wochen später bekamen wir die Zusage zum Einzug ins Häuschen, und da wusste ich längst, was ich alles mit den Früchten anstellen wollte. Denn als Tochter ehemaliger Bauern finde ich es nicht richtig, organische Früchte vergammeln zu lassen.


Wie alles begann

Die Idee, mich mit Früchten, Kräutern und Blüten zu beschäftigen, ist scheinbar auf gut Glück, jedoch nicht planlos entstanden. Lange vor 2014, als sich mir mit dem Einzug in das freistehende Haus auf dem Land endlich die Chance bot, mich mit der Natur und Echtem zu befassen, brannte in mir die Sehnsucht, meine Achtsamkeit und Energie auf etwas zu lenken, was mich innerlich wirklich erfüllt. Man kann ruhig sagen, ohne esoterisch wirken zu wollen, dass mich das Einkochen und Einmachen aus meinem Leben auf der Überholspur rausgeholt hat, um mir Entschleunigung beizubringen. Denn lange Zeit befand ich mich im Leistungsstrudel von Zürcher Finanz- und Dienstleistungsunternehmen. Ich war stets im sechsten Gang unterwegs, nur um immer wieder frustriert festzustellen, dass es im Grunde zu nichts führt. Schon gar nicht zu etwas Dauerhaftem oder Authentischem. Ich war übersättigt und müde vom Drill und von der Getriebenheit der profilierungssüchtigen, neurotischen Gesellschaft, in der ich mich beruflich befand. Die Zeit war reif, mein wahres Potenzial zu entfesseln, das in meinem Inneren nicht mehr ruhig schlummerte und nur von besseren Tagen träumte. Als Naturkind war mir seit meiner Kindheit klar, dass nur die Rückverbindung zur Natur mich zu meinen Wurzeln zurückzubringen vermag. Dass ich neben meiner Extravertiertheit auch stark intravertiert bin, hatte ich zwischenzeitlich auch festgestellt. Also «Back to the roots», wie die englische Redewendung so treffend ausdrückt.


Ivana im Jahr 2014

So ging ich 2014 von einer neuerlebten Entspanntheit beflügelt und losgelöst von irgendeinem falschen Ehrgeiz, der mich zuvor immerzu begleitet hatte, an die Arbeit, die mir gar nicht wie Arbeit vorkam. Kaum Ende Oktober eingezogen, erntete ich, was der Hausgarten hergab und kochte und machte alles ein. Damals noch unter dem Label «Ettenberg 78», welches ich aus purer Schöpfungslust bereits ins Leben gerufen hatte. Die meisten meiner ersten Gläser konsumierten mein Lebenspartner Ivo und ich selbst. Einige jedoch vergab ich an Verwandte, Bekannte und Freunde, die mir auf meine Bitten hin mitteilten, was sie weshalb besonders mögen, was wiederum warum nicht und wie sie es lieber haben wollten, so dass ich meine Rezepte kontinuierlich anpassen konnte.

Das erste Label

In der Folge beobachteten Ivo und ich den Garten ein Jahr lang akribisch, um herauszufinden, was sich unseren Blicken vorerst noch verbarg und sich zu den verschiedenen Jahreszeiten aus der Erde reckte. Wir analysierten jede einzelne Gattung und Art. Sodann gestalteten wir den Garten um und bauten unzählige neue, vor allem insektenfreundliche Pflanzen ein. Den Pflanzen beim Werden und Vergehen zuzusehen, half mir, sie in ihrem Wesen zu verstehen und ihren Standort allenfalls neu zu beurteilen. Zudem beschäftigte ich mich mit unzähligen Büchern und Berichten zu den Themen Botanik, Pflanzung, Ernte, Schnitt, Verwendung, Einmachen, Einkochen, Einlegen, Lagerung und so weiter.


Das erlernte Wissen reicherte ich über die Jahre mit meiner eigenen praktischen Erfahrung an. Scheitern gehörte dazu, oft sogar. Doch viele Gärtner, Bio-Bauern, Köche und Gastronomen, mit denen ich teilweise noch heute Kontakt halte, ergänzten mein Wissen und erweiterten meinen Horizont, bis ich die Geschicklichkeit in allem Notwendigen erlernt und einen reichen Fundus an Rezepten beisammenhatte. Und ich entwickle sie andauernd weiter. Es ist ganz leicht, Rezepte zu sammeln. Herausfordernd wird es hingegen, wenn es darum geht, die «Unnützen» und «Schummelnden» auszusortieren und einer Tauglichkeitsprüfung zu unterziehen. Denn es gibt gerade im Internet unendlich viele Fake-Rezepte, die nicht funktionieren (können). Bis man folglich ein eigens erprobtes, zuverlässiges Rezeptbuch erschaffen hat, bedarf es Zeit. Schliesslich muss man die Rezepte nicht nur testen, sondern immer wieder mit viel Geduld von Neuem nachkochen, bis sie zu den eigenen Umständen, Gegebenheiten, Techniken und Methoden sowie Vorstellungen passen. Allem voran das Scheitern war für mich zentral, da ich dadurch erkennen konnte, womit ich mich noch eingehender auseinanderzusetzen hatte, um kompromisslose Naturprodukte herzustellen. Gerade das Scheitern hat mich immer wieder vorangetrieben und weitergebracht (gewisse Dinge wollten mir partout jahrelang nicht gelingen).


Unaufhörliches Lernen gehört seit jeher zu meiner Lebensphilosophie. Ich bin eine ewig Suchende nach Wissen (allem voran um die Alchemie der Konfitürenküche), Rezepten und Ideen für meine naturnahen Produkte. Je mehr ich weiss, desto mehr dürstet es mich nach noch mehr Kenntnis und Erkenntnis. Schier unerschöpflich ist gerade in der heutigen Zeit die zugängliche Vielfalt des Kochens und guten Essens. Büchereien sind voll von altem und neuem Kochwissen!


Beim Recherchieren

Besonders das Aufspüren alter Rezepte durch Recherchen macht mir Freude, denn seit jeher fasziniert mich das Handwerk der traditionellen Küche. Alles, was nach Grossmutters Art und generell in altherkömmlicher Manier produziert wird, gewinnt meine Aufmerksamkeit auf beinahe magische Weise. Wenn immer sich die Gelegenheit bietet, suche ich neben Überlieferungen auch das Gespräch mit diversen «Wissenden», oft «Confituriers» von klein auf und Haus aus. Meist sind das ältere Damen, die selber einen reichen Familiengarten besitzen oder besassen und daher ein profundes Können in der Kunst des Einkochens und Einmachens aufweisen. Was mich dabei rührt, ist, dass sie ihr Wissen mit Wonne und glänzenden Augen an Interessierte weitergeben, wenn sie dazu eingeladen werden, zu erzählen.


Prägende Kindheit

Die Liebe und Leidenschaft für die gute alte Küche wurzeln auch in meiner frühen Biografie. Dass ich als Kind die Sommerferien bei Grossvater mütterlicherseits auf seinem Hof abseits von jeglichen städtischen Annehmlichkeiten verbringen durfte, hat das Meiste dazu beigetragen. Das einfache, naturverbundene Landleben, das Handwerk in allen Belangen, die Herstellung und Zubereitung der Lebensmittel durch Grossmütter, Mütter, Tanten und Nachbarinnen mit hübsch geblümten Kopftüchern und Schürzen haben mich geprägt. Vor allem hat mich ihr Wissen und Savoir-faire beeindruckt.

Grossvaters Haus

Und nicht nur das: Es ist vor allem das intensive Mamma-in-der-Küche-Gefühl, das ich mit diesen Traditionen verbinde und welches ich durch das grossmütterliche Erscheinungsbild meiner Produkte vermitteln möchte. Das selbst kreierte Siegel «Mamma in der Küche» zeugt ebenso davon, wie alles andere. Von der Marke zum Logo über die Etiketten bis hin zum Marketing – und nicht zuletzt der Gaumenschmaus: Alles ist zu 100 Prozent Ivana. Meine Mission ist es, meine Leidenschaften in allem zu 100 Prozent erlebbar zu machen.



Ivana’s Philosophie

Mein Vorsatz, dass alles 100 Prozent rein zu sein hat und nur eingemacht sowie eingekocht wird, was die Gärten, von denen ich mich bediene, zur entsprechenden Jahreszeit hergeben, ist seit Anbeginn derselbe. Mein Credo lautet, die Natur so zu belassen, wie sie ist. Die Früchte, Kräuter und Blüten stammen allesamt aus dem eigenen und aus dem Familiengarten sowie von Freunden, die ebenfalls Naturgärten pflegen. Sie werden nicht gespritzt und sind somit zu 100 Prozent natürlich. Auf Zusätze wie künstliche Aromen, Konzentrate oder Konservierungsmittel verzichte ich aus Liebe zur Natur, Leidenschaft und Überzeugung. Ich verwende ausschliesslich natürliche Zutaten in Bio-Qualität. Gut zu wissen: Ivana's Naturprodukte sind nicht nur für den direkten Verzehr gedacht, sondern eignen sich hervorragend auch zum Backen.


100% natürlich. Traditionell hergestellt. Hausgemacht.

Meine Küche schmeckt stets so, wie die Natur sich das gesamte Jahr hindurch präsentiert. Je nachdem, wie das Wetter war, also fruchtig-süss, eher säuerlich oder alles gleichzeitig: fruchtig-süss-säuerlich. Durch den Rhythmus der Natur beeinflusst, gibt es mal mehr, mal weniger. Deshalb hat es bei Ivana’s Einmacherei jeweils, solange es hat. Im Verlauf der Jahre konnte ich mein Sortiment ganz zu meinem Entzücken kontinuierlich erweitern. Heute zählt es in der Hochsaison bis zu 30 Produkte. Als Kleinstproduzentin mit einem Faible für hierzulande rare Spezialitäten aus den unterschiedlichsten Ländern (beispielsweise mein französisches Verveine-Gelée oder meine von Spaniern heissgeliebte Quittenpaste namens «dulce de membrillo»), erlaube ich mir allerdings, nur kleine Mengen herzustellen. Daher sind praktisch sämtliche Erzeugnisse «limited editions» und je nachdem, ob es sich um einen Bestseller handelt, rasch ausverkauft. Man greife also rasch zu! Um nichts zu verpassen und auf dem Laufenden zu bleiben, empfehle ich folglich, den Newsletter von Ivana’s Einmacherei zu abonnieren.


Bleibende Inspiration

Das freistehende Häuschen, wo der kleine, knorrige Apfelbaum stand, bewohnen wir übrigens längst nicht mehr. Wir mussten es notgedrungen verlassen und uns nach einer neuen Bleibe umsehen, weil es 2018 abgerissen wurde – und mit ihm auch der Apfelbaum, der mich so sehr inspiriert hat. Doch die Erinnerung an ihn ist bis heute lebendig geblieben, gilt er doch als Ursprung meiner Einmacherei. Wir hatten Glück und fanden bald ein neues Zuhause in der Region. Aus «Ettenberg 78» wurde «Ivana’s Einmacherei». Denn das Schicksal oder der Zufall wollte es, dass das neue, ältere Häuschen, in dem wir nun seit knapp sechs Jahren ansässig sind, ebenfalls freistehend und von einem ebenso grossen, zudem viel herrlicheren Garten umgeben ist. Er beherbergte schon bei unserem Einzug unzählige Kräuter als auch Fruchtpflanzen wie zwei Apfelbäume, drei Baumhaseln, einen Holunder, einen grossen Johannisbeerstrauch oder Pflaumen. Neue kamen in den letzten Jahren durch uns hinzu: drei weitere Johannisbeeren, eine Mispel, einen Pfirsich sowie eine Aprikose, eine Feige, viele Reben und zwei Kornelkirschen (die Jungpflanzen gedeihen hier prächtig und in wenigen Jahren werde ich genug ernten können, um mein Sortiment erneut zu erweitern). Auch haben wir Blumen und unzählige Duftrosen alter Sorten und ferner weitere Kräuter gepflanzt. Nicht zuletzt darf ich mich vom Familiengarten in Stadel und Riedt bedienen, wo ich nicht nur meine geliebte Verveine, sondern auch Hagebutten, Quitten, Birnen und noch mehr Äpfel herhabe. Mittlerweile darf ich auch bei Bio-Bauern Früchte abholen, wenn sie nicht wissen, wohin mit ihrer Ernte. Ab und an gestatte ich mir aber auch den Einkauf von Bio-Orangen oder Bio-Zitronen bei einem Schweizer Lieferanten, der frische Zitrusfrüchte direkt von seiner eigenen Plantage in Spanien heranschafft – weil ich es einfach nicht lassen kann, mich auch im Winter, besonders zur romantischen Vorweihnachtszeit, in meiner Konfitürenküche auszutoben.


Als bescheidener Mensch wollte ich anfangs nur Äpfel einmachen, genauer gesagt Apfelmus, und die Gläser auf einem hübschen Regal vor dem Haus zum Kauf anbieten. Ich weiss noch genau, was ich allen Unterstützern als auch Skeptikern sagte:


«Wenn sich meine Naturprodukte vermarkten lassen, freue ich mich unendlich über jeden einzelnen Kauf. Wenn allerdings niemand ein Glas kauft, spielt es auch keine Rolle, weil es mir mit diesem Unternehmen nicht ums Verkaufen geht. Ich will ein Zeichen für Mensch und Natur setzen. Ausserdem kann ich alles, was ich herstelle, selber konsumieren. Alles soll mir recht sein, nur etwas nicht: Organische Früchte an den Bäumen und am Boden verfaulen zu lassen».

Je öfter ich diese Aussage wiederholt habe, desto mehr wurde sie zu einem sich manifestierenden Mantra. Auch wenn alles irgendwie nach einer Selbstfindungstherapie klingt, ist es so banal auch wieder nicht. Es steckt bei Weitem mehr dahinter, weil sich mir eine «Neue Welt» eröffnet hat, die grösser, vielfältiger und schöner ist, als ich es jemals erahnt hätte. Es war nie meine Absicht zu wachsen, auch wenn mein ernsthaftes Tun dazu geführt hat, dass Ivana’s Einmacherei tatsächlich gewachsen ist. Ich bin sicher, dass es nicht so weit gekommen wäre, wenn berechnender Ehrgeiz und der unbedingte Wunsch nach Expansion mitgespielt hätten. Denn zum Wachstum von Unternehmen habe ich eine etwas gespaltene Meinung, die ich am besten mit einer Anekdote erklären kann. Vielleicht kennt ihr die Weisheitsgeschichte «Der Fischer und der Geschäftsmann»? Ich habe sie am Ende dieses Blog-Beitrags aufgeführt, falls sie jemand lesen möchte.


Allem unbeabsichtigten und gleichzeitig erfreulichen Wachstum zum Trotz: Es ist mir ein wichtiges Anliegen, meine Einmacherei «klein und fein» zu halten und meine grundlegenden Kernwerte und Prinzipien zu bewahren – was mir dank meines beständigen Charakters nicht schwerfällt –, ohne dabei die gewissenhafte Weiterentwicklung meines Unternehmens ausser Acht zu lassen, nunmehr an diesem Punkt angekommen. Denn ich bin überzeugt, dass Ivana’s Einmacherei als Marke deshalb gut ankommt, weil sie echt und ehrlich sowie höchst persönlich ist. Sie lebt von der Vision einer gesünderen, ehrlicheren, ja echten Welt und ausserdem für ein Versprechen, auf das man wirklich zählen kann.


Ivana's Einmacherei steht demnach für alles, was ich gerne tue und gut kann. Und weil ich hohe Ansprüche an mich selbst stelle, bin ich sehr empfindsam, wenn es um Qualität, Natur und Umwelt geht. Für einen kompromisslos unverfälschten, authentischen Geschmack und einen respektvollen Umgang mit Mutter Natur stehe ich mit meinem Namen.


Nach wie vor erfreut und bestärkt mich jeder einzelne Kauf, was ich allen Kundinnen und Kunden auf einer handschriftlich verfassten Dankeskarte auch mitteile, die ich der Bestellung beilege. Und dennoch möchte ich an dieser Stelle allen nochmals meinen herzlichsten Dank aussprechen. Danke dafür, dass ihr meinen Produkten vertraut und meine Einmacherei unterstützt. Und während ich dies schreibe, sitze ich in meinem schönen Garten und bin von grosser Dankbarkeit erfüllt.


Herzlichst, Ivana


 

Die Weisheitsgeschichte «Der Fischer und der Geschäftsmann»


Ein Fischer sass in seinem Fischerboot am Strand und genoss den Blick auf das Meer. Er war mit sich und der Welt sichtlich im Einklang. Da kam zufällig ein Geschäftsmann vorbei, der in dem Fischerdorf gerade Urlaub machte und die Idylle mit seinem Fotoapparat einfangen wollte. Als er den Fischer in seinem Boot sitzen sah, hielt er inne. Eine Zeit lang beobachtete er den Fischer, ehe er beschloss, ihn anzusprechen.

«Hallo, mein Herr! Geniessen Sie heute Ihren freien Tag?»

Nach einer Weile antwortete der Fischer:

«Hallo. Ich geniesse meinen Feierabend.»

Eigenartig, dachte der Geschäftsmann bei sich. Es war erst früher Nachmittag. «Ich will mich ja nicht in Ihre Angelegenheiten mischen», sagte er alsdann, «aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein zweites, drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal hinaus aufs Meer und würden drei, vier, fünf, vielleicht sogar zehn Dutzend Makrelen fangen. Sie könnten viel mehr verdienen! Glauben Sie mir, damit kenne ich mich aus.» 

Der Fischer nickte stumm. 

«Sie würden», fuhr der Geschäftsmann unbeirrt fort, «nicht nur heute, sondern auch morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei, drei Mal, vielleicht vier Mal zum Fischen rausfahren. Wissen Sie, was geschehen würde?»

Der Fischer schüttelte den Kopf. 

«Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen besseren Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot und in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter besitzen. Mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie noch mehr fangen! Eines Tages würden Sie zwei Kutter haben. Sie könnten … », für einen Augenblick verschlug es dem Geschäftsmann ob seines eigenen grandiosen Geschäftssinns die Sprache, « … ja, dann könnten Sie ein grosses Kühlhaus bauen, vielleicht auch eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik. Sie könnten Ihre Produkte weltweit vertreiben. Mit all den Gewinnen könnten Sie sich einen Hubschrauber leisten. Damit könnten Sie die Fischschwärme im Meer ausmachen und Ihre Kutter per Funk dorthin lotsen. Irgendwann könnten Sie auch die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen und den Hummer direkt nach Paris exportieren!»

Der Geschäftsmann war begeistert von seinen Ideen und blickte den Fischer erwartungsvoll an. Dieser jedoch tat kein Wank und blickte weiterhin aufs Meer. Eine Zeit lang herrschte Stille zwischen den beiden Männern und der Geschäftsmann missverstand diese als intellektuelle Überforderung. So bot er dem Fischer an:

«Wenn Sie möchten, kann ich Sie beraten. Denn glauben Sie mir, wenn Sie mehr Fische einfingen, hätten Sie … »

Da stand der Fischer auf, klopfte dem Geschäftsmann auf die Schulter und fragte seelenruhig:

«Was hätte ich dann?» «Dann ... », entgegnete der Fremde überzeugt, «dann hätten Sie so viel Geld, dass Sie Ihr Leben bis ans Ende in der Sonne sitzend geniessen und auf das herrliche Meer blicken könnten, ohne sich Sorgen machen zu müssen.»

Der Fischer schmunzelte.

«Aber mein lieber Freund, das tue ich ja schon jetzt», sagte er zum verblüfften Geschäftsmann und zog von dannen.

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