Kirschen
Der Name Kirsche bzw. Kirschbaum leitet sich von ihrem einstigen Herkunftsort ab: Kerasus, heute Giresun, eine kleine Hafenstadt im Nordosten der Türkei am Schwarzen Meer. Die Stadt erhielt diese Bezeichnung entweder nach dem Baum oder der Baum nach der Stadt, die schon seit dem vierten Jahrhundert vor Christus ein bekanntes Kirschanbaugebiet war. Ihren Namen verdankt die Kirsche jedenfalls auch in einigen anderen Sprachen ihrer Heimat: Auf beispielsweise Spanisch nennt sie sich «cereza», auf Französisch «cerise» und auf Türkisch «kiraz». In der deutschen Sprache ist der Name der Frucht aus dem Mittelhochdeutschen «kirse» oder «kerse» entlehnt sowie dem Althochdeutschen «kirs» oder «kirsa». Das lateinische Wort für Kirsche «cerasum» beruht seinerseits auf dem Griechischen «kerásion» sowie «kerasía» für Kirschbaum.
Die Kirsche fand ihren Weg nach Nordeuropa über Italien. Der römische Feldherr Lukullus entdeckte die saftig-süsse Perlfrucht um 74 bis 64 vor Christus während seiner Feldzüge in Kleinasien, der heutigen Türkei, und nahm sie mit nachhause. Von Italien breitete sie sich durch die Expansion des Imperium Romanum erst jenseits der Alpen in Gallien und Germanien aus und von da langsam über den gesamten europäischen Kontinent. In Siedlungen aus der Mittel- und Jungsteinzeit fanden Forscher tatsächlich Steine der Vogelkirsche, die Urform unserer heutigen Süsskirsche. Damit zählt sie zu einer der ältesten Obstpflanzen unserer Geschichte.
Kirschen werden in Süss- und Sauerkirschen unterteilt, wobei dies erst seit dem achtzehnten Jahrhundert üblich ist. Während die Herkunft der Süsskirsche erforscht ist, ist jene der verwandten Sauerkirsche unbekannt. Man geht davon aus, dass die Sauerkirsche aus der Süsskirsche entstanden ist und dass es sich bei ihr um eine Kreuzung der gemeinsamen Vogelkirsche mit einer Steppenkirsche handelt, die wahrscheinlich ebenfalls aus Kleinasien oder dem Balkan abstammt.
Ab dem sechzehnten Jahrhundert sind sowohl Süss- als auch Sauerkirschen in Umlauf gekommen und haben im Verlauf der Zeit zahlreiche neue Sorten in regionalen Variationen hervorgebracht. Im neunzehnten Jahrhundert belief sich alleine die Anzahl Süsskirschensorten auf über 600. Heute existieren viele dieser ursprünglichen Arten leider nicht mehr. Als eine der ältesten noch bestehenden alten Kirschsorte gilt die französische «grosse schwarze Knorpelkirsche», die erstmals 1540 erwähnt wurde und noch heute zu den beliebtesten zählt.
Inzwischen hat die Kirsche fast die ganze Welt erobert. Sie wird in allen gemässigten Klimazonen der Welt angebaut. Etwa ein Drittel der Schweizer Kirschen wird als Tafel- oder Konservenkirschen verwendet. Die Konservenindustrie verarbeitet die Kirschen zu Konfitüren und zu Kompott. Die restlichen zwei Drittel der Kirschenernte wird zu Kirschwasser gebrannt, kurz «Kirsch» genannt. Heute gehört Polen zu dem Land mit den grössten Kirschanbaugebieten. Mit grösseren Abständen folgen Italien, Spanien und Serbien.
In den Neunzigern des zwanzigsten Jahrhunderts kam mit einem bekannten Werbespot für die Kirschpraline «Mon Chérie» die Piemont-Kirsche auf. Das dahintersteckende Unternehmen wurde in Alba im Piemont («al pie dei monti», am Fuss der Berge) gegründet und wollte mit ihrem Konfekt einen Bezug zum Herkunftsort herstellen. Denn die Gegend ist bekannt für ihre Kulinarik. Deshalb ging es in der Werbung um das Geschmacksgeheimnis der Piemont-Kirsche, doch das viel grössere Geheimnis ist: Es gibt die Piemont-Kirsche gar nicht. Sie ist bloss ein Mythos, eine Werbemarke der Firma Ferrero, und keine Sorte. Dennoch erlangte die Piemont-Kirsche mit der gelungenen Werbung eine bis heute anhaltende Bekanntheit.
Ob es sich um die äussere Schönheit, Erotik oder die verlorene Jungfräulichkeit handelt – mit der Frucht wird sinnbildlich die irdische Liebe, Lust und Koketterie assoziiert. Die Kirsche symbolisiert aber auch die Fruchtbarkeit der Erde sowie das Paradies (so auch allem voran der Apfel) und gehört daher ebenfalls zu den Paradiesbäumen. In der griechischen Mythologie war der Kirschbaum Artemis, der Göttin der Jagd, des Waldes und des Mondes geweiht. Man nennt ihn deshalb auch «Mondbaum».
Und seit gut Tausend Jahren zelebrieren die Japaner mit dem Kirschblütenfest das Frühlingserwachen.
Die Kirsche enthält zahlreiche Mineralstoffe wie Kalium, Kalzium, Magnesium, Phosphor und Eisen. Auch enthält sie die Vitamine B1, B2, B6 und C. Kirschen dienen zudem als Lieferanten der Folsäure – ein unentbehrliches Vitamin besonders für Schwangere, da es für die Zellteilung bzw. Wachstumsprozesse sowie die Blutbildung verantwortlich ist. Der für das Purpur der Kirsche verantwortliche Farbstoff soll ausserdem entzündungshemmend wirken. Auch enthält die gesunde Frucht das Spurenelement Zink.
Kirschbäume gehören zu den anspruchslosen Obstbäumen. Sauerkirschen sind dabei noch unempfindlicher als Süsskirschen. Süsskirschen mögen vor allem keine Staunässe und warme Sandböden, gedeihen auf mässig trockenen Sandböden hingegen gut. Sauerkirschen ertragen dagegen selbst magere und dauernd nasse Böden. Ebenso stören sie sich wenig an Schatten. Deshalb lassen sie sich auch gut an gegen Norden ausgerichteten Wänden als Spalierbäume ziehen. Das Holz eignet sich wegen seiner wunderschönen Maserung ausserdem hervorragend für glänzende Furniere und ist entsprechend gesucht.
Kirschen reifen nicht nach. Sie halten sich ein bis zwei Tage im Kühlschrank, am besten in einem Plastikbeutel verpackt. Waschen Sie die Kirschen erst kurz vor Verzehr, da sie sonst schnell faulen.
Gattung: Vogelkirsche I Süsskirsche
Synonyme: Wildkirsche I Waldkirsche
Lateinischer Name: Prunus avium
Pflanzenfamilie: Rosengewächse (Rosaceae)
Unterfamilie: Steinobstgewächse (Amygdaleae)
Anzahl bekannter Arten: geschätzt 700
Habitus: sommergrüner, 15 bis 20, selten 30 Meter hoher Baum mit rötlich brauner Ringelborke I wechselständig angeordnete, lang zugespitzte Laubblätter I eiförmige Knospen mit gefalteten Blattspreiten I unregelmässig und grob gesägte Blattränder I kahle, frischgrüne Blattoberseite und dunklere Blattunterseite mit anfangs leicht behaarten Blattnerven mit je sieben bis neun Seitennerven I fast sitzender, doldiger Blütenstand, der meist nur drei bis vier, seltener zwei bis sechs Blüten trägt I fünfblättrige, radiärsymmetrische, zwittrige Blüten mit doppelter Blütenhülle: fünf äussere, rötlich gefärbte Kelchblätter und fünf innere bzw. freie, weisse I dunkel- bis schwarzrote, kugelige oder eiförmige Steinfrüchte mit glattem Endokarp und süssem (bei Wildsorten bittersüssem) Fruchtfleisch
Hauptblütezeit: März bis April I manchmal bis Mai
Erntezeit: Juni bis August
Alter: bis zu 150 Jahre
Standort: wärmeliebendes Halbschattengewächs I bevorzugt tiefgründige, frische, basische, nährstoffreiche Böden I kommt auch mit Trockenheit gut zurecht, mag deshalb mässig trockene bis trockene Orte I reagiert empfindlich auf Staunässe
Besonderheit: Flachwurzler I mehrheitlich Selbstbefruchter I sehr wahrscheinlich dank seiner Ringelborke und Kulturformen immun gegen Mistelbefall I hohe Hitze- und Trockenheitsresistenz I schnellwachsend I benötigt zum Wachsen ausreichend Standraum